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Fliegen Erklärt: Warum hängen die Triebwerke eigentlich meistens unter dem Flügel?

Rolls-Royce Trent 1000 an der Boeing 787

In dieser neuen Rubrik, die ich passenderweise Fliegen Erklärt nenne, werde ich Fragen rund um die Fliegerei beantworten. Als (angehender) Ingenieur der Luft- und Raumfahrttechnik versuche ich, besonders auf die technischen Hintergründe und Prinzipien einzugehen. Was die eigentliche Fliegerei aus Sicht eines Piloten angeht bin ich kein Experte, habe aber durch  Simulatorübungen und -versuche sowie durch den ständigen Kontakt zu Piloten ein gutes Verständnis von dem, was im Cockpit abgeht. In diesem Teil wird es um eine Frage gehen, die in die Rubrik Flugzeugentwurf bzw. Flugzeugkonfiguration einzuordnen ist:

Wie wird eigentlich entschieden, wo die Triebwerke angebaut werden?

Die Entscheidung unterliegt in erster Linie dem Flugzeughersteller, auch Airframer genannt. Bekannte Airframer für große zivile Verkehrsflugzeuge sind Airbus und Boeing. Im Regionalfluggeschäft sind Embraer, Bombardier, Sukhoi und ATR etablierte Größen. Geschäftsreiseflugzeuge werden überwiegend von Dassault, Bombardier, Embraer und Gulfstream entwickelt. Diese Firmen steuern den Entwicklungsprozess und finden für alle Aufgaben, die sie nicht selbst übernehmen können oder wollen, einen Subunternehmer. In der globalisierten Welt sind eine ganze Menge Subunternehmer aus aller Herren Länder an einer Flugzeugentwicklung beteiligt. Die wohl auffälligste Komponente, deren Entwicklung ausgelagert wird, sind die Triebwerke. Bekannte Hersteller sind GE, Rolls-Royce und Pratt & Whitney, wobei für einige Projekte Konsortien mit mehreren Herstellern und Zulieferern gegründet worden sind (IAE, CFM usw.).

Neben den technischen Vor- und Nachteilen der Konfigurationen – wir reden hier übrigens nicht nur von der Anzahl und Anordnung der Triebwerke, sondern auch über Leitwerke, Flügel usw. – werden noch ein paar weitere Kriterien geprüft. Die wichtigsten davon sind:

  • Was will der Kunde? Egal wie technisch sinnvoll eine Lösung ist, der Kunde (Airlines) muss sie kaufen wollen. Ausschlaggebend kann zum Beispiel die Ähnlichkeit zu aktuellen Flugzeugen in der Flotte sein. Große Ähnlichkeiten sind oft kostensparend in der Wartung.
  • Was kann/will der Zulieferer bauen? Die Entwicklung eines Triebwerks kostet Geld. Einige Konzepte sind in der Realisierung aufwändiger als andere, was beispielsweise die Anströmung oder die Aufhängung betrifft. Wenn ein Zulieferer Erfahrung mit der gewünschten Triebwerkskonfiguration hat oder eine Weiterentwicklung eines bereits entwickelten Triebwerks reicht, wird er das Triebwerk günstiger, schneller und zuverlässiger entwickeln können.
  • Womit hat der Airframer Erfahrungen? Für den Airframer, der die Triebwerke an seine Flugzeugstruktur anbinden muss, gilt natürlich das gleiche Prinzip. Alles, womit er keine Erfahrungen hat, wird sehr teuer in der Entwicklung.

Davon mal abgesehen gibt es auf technischer Ebene eine Reihe von Vor- und Nachteilen der verschiedenen Konfigurationen. Die gängigsten sind die Anbringung unter dem Flügel und die Anbringung am Heck. Nichtsdestotrotz wurden im Laufe der Geschichte alle möglichen Konfigurationen getestet. Viele davon sind jedoch gefloppt. Ganz interessant ist diese Anbringung der Triebwerke auf dem Flügel, die bei der VFW 614 in den 70ern gebaut wurde. Das letzte fliegende Exemplar gehört heute dem DLR und dient als Versuchsträger.

VFW 614, Foto von Eduard Marmet (airliners.net)
VFW 614, Foto von Eduard Marmet (airliners.net)

Was spricht für bzw. gegen eine Anbringung der Triebwerke unter dem Flügel?

Rolls-Royce Trent 1000 an der Boeing 787
Rolls-Royce Trent 1000 an der Boeing 787

Bei größeren Verkehrsflugzeugen ist diese Anordnung sehr häufig anzutreffen. Dabei gibt es eine ganze Reihe von Nachteilen:

  • Man braucht einen gewissen Abstand zum Boden. Bei der 737, die anfangs mit sehr kleinen Triebwerken entworfen wurde, hat sich das bei den Weiterentwicklungen bis hin zur 737 MAX als Problem herausgestellt. Die Triebwerke sind nach unten hin abgeflacht. Außerdem ist das Triebwerk anfälliger für Beschädigungen durch Bodeneinflüsse wie Staub und Steine.
  • Die Triebwerke hängen direkt in der Anströmung des Flügels. Durch die dadurch verursachte Interferenz entsteht ein nicht zu vernachlässigender aerodynamischer Widerstand. In diesem Zusammenhang sind euch vielleicht diese scharfkantigen Metallbleche aufgefallen, die an der Seite mancher Triebwerke senkrecht zur Verkleidung angebracht sind. Diese heißen Strakes und erzeugen Turbulenzen im Luftstrom. Turbulente Strömungen reißen nicht so schnell ab und „kleben“ quasi länger an der Oberfläche. Damit verbessert man die an dieser Stelle gestörte Anströmung des Tragflügels und erhöht unter anderem den Anstellwinkel, bei dem die Strömung am Tragflügel abreißt. Besonders beim Betrieb des Hochauftriebsystems („Landeklappen“) machen sich diese Interferenzen negativ bemerkbar.
  • Giermoment beim Triebwerksausfall. Wenn ein Triebwerk ausfällt, sollte das Flugzeug trotzdem noch geradeaus fliegen können. Fällt bei einer 787 das linke Triebwerk aus, würde das Flugzeug ohne zusätzliche Steuerbefehle stark nach links gieren, da der Schub bezogen auf den Rumpf nun auf einmal stark asymmetrisch angreift. Dieses Moment muss durch das Seitenruder ausgeglichen werden können. Wenn die Triebwerke näher am Rumpf montiert sind, ist dieses Moment wesentlich kleiner. Der Idealfall ist dafür natürlich das im Seitenleitwerk integrierte Triebwerk.
Triebwerk einer 737-800
Triebwerk einer 737-800

Doch die Vorteile solcher Konfigurationen sind nicht von der Hand zu weisen:

  • Die Triebwerke sind leicht zugänglich. Gut, bei einer 777 braucht ein Mechaniker eine Trittleiter, aber grundsätzlich kommt die Wartungscrew sehr einfach an die Triebwerke ran – und zwar von beiden Seiten!
  • Lärmbelastung der Kabine. Die Kabine wird durch die Flügel vom Lärm der Triebwerke abgeschirmt. Wer bei einer MD-83 mal ganz hinten gesessen hat, der weiß, wie sich das sonst anfühlen/anhören kann.
  • Der Schub greift axial gesehen in der Nähe des Schwerpunktes an. Dadurch sind die Momente, die man austrimmen muss, nicht so riesig. Dennoch entsteht durch Schuberhöhung oder -minderung ein Nickmoment, da die Kraft vertikal gesehen unterhalb des Schwerpunktes angreift. Wenn man bei einer 737 den Schub erhöht, nickt die Nase auf. Aus flugmechanischer Sicht ist das ein wichtiger Aspekt der Eigenstabilität, aber das ist ein Thema für sich.
  • Die Integrierung in die Struktur ist einfach und sinnvoll. Das ist der wahrscheinlich wichtigste Punkt. Der Tragflügel erzeugt über seine Länge verteilt eine nach oben gerichtete Auftriebskraft. An der Flügelwurzel entsteht dadurch ein großes Biegemoment. Große Biegemomente erfordern aufwändige strukturelle Verstärkungen. Dieses Biegemoment kann aber durch die Gewichtskraft der Triebwerke verringert werden, indem diese Gewichtskraft der Auftriebskraft lokal direkt entgegenwirkt. Damit spart man sehr viel Gewicht in Form von strukturellen Verstärkungen. Aus dem gleichen Grund sind übrigens die Haupttanks im Flügel. Außerdem läuft im Falle eines Ausfalls sämtlicher Treibstoffpumpen das Kerosin immer noch durch die Schwerkraft in die Triebwerke.

Was spricht für bzw. gegen eine Anbringung der Triebwerke am Heck?

Boeing 727 - Triebwerke am Heck
Boeing 727 – Triebwerke am Heck

Die Nachteile der Anbringung unter dem Flügel sind hier in der Regel Vorteile und umgekehrt. Auf ein paar Punkte sollten wir aber genauer schauen:

  • Die Triebwerke beeinflussen die Anströmung des Flügels nicht. Damit entfällt die kritische Interferenzwirkung zwischen Tragflügel und Triebwerk, auch wenn man dadurch ähnliche Effekte am hinteren Bereich des Rumpfes erhält. Besonders das kritische Hochauftriebsystem profitiert aber davon.
  • Die Giermomente bei Triebwerksausfall sind klein. Die Triebwerke sind nah an der Symmetrieachse des Rumpfes montiert und machen im Falle eines Triebwerksausfalls keine Probleme wegen etwaiger Giermomente.
  • Bodeneinflüsse sind weniger kritisch. Klar, wenn man vertikal weiter oben liegt, saugt man in der Regel weniger Steine und Sand ein.
  • Der Abstand zum Boden ist weniger kritisch. Die Länge des Fahrwerks wird nicht mehr durch die Triebwerke dimensioniert und kann kleiner ausgelegt werden.
  • Das Überziehverhalten kann problematisch werden. Das Stichwort lautet hier Deep Stall. Durch die Konzentration der Triebwerksmassen am Heck und dem damit einhergehenden Nickmoment kann das Flugzeug bei hohen Anstellwinkeln schnell instabil werden. Dazu kommt noch, dass die Triebwerke im Nachlauf des Tragflügels liegen. Einfach ausgedrückt bilden sich besonders bei hohen Anstellwinkeln hinter dem Flügel riesige Bereiche mit großen Wirbeln und geringen Strömungsgeschwindigkeiten aus. Mit dem oft verwendeten T-Leitwerk kann es dann auch schnell passieren, dass das Höhenleitwerk im Nachlauf des Flügels und des Triebwerks liegt, womit das Höhenruder stark an Effektivität verliert. Im schlimmsten Fall kommt es zum Deep Stall, einem Strömungsabriss, aus dem das Flugzeug aus eigener Kraft (also mit eigenen Steuerimpulsen) nicht mehr herauskommt, weil das Höhenleitwerk seine Funktion nicht mehr erfüllen kann. Die Deep Stall Tests bei der Zulassung sind sehr risikoreich. Auf Youtube gibt es ein sehr interessantes Video dazu aus der Flugtestkampagne der Fokker F70.

Wie entscheiden sich die Hersteller in der Regel?

Größere Passagierflugzeuge haben in der Regel Triebwerke unter dem Flügel. Aufgrund der großen Reichweite verbringen sie die meiste Zeit im Reiseflug und können daher mit dem weniger leistungsfähigen Hochauftriebsystem leben. Wichtiger ist hier der Ausgleich des Biegemomentes und die Reduktion des Kabinenlärms, da die Flüge häufig länger dauern. Größere Fahrwerke sind aufgrund der Flugzeuggröße weniger problematisch bzw. teilweise eh notwendig.

Bei Kurzstreckenflugzeugen findet man häufig die Anordnung der Triebwerke am Heck. Ausschlaggebend ist hier, dass man anteilig an der Gesamtflugzeit viel im Steig- und Sinkflug unterwegs ist. Die Flugzeuge fliegen kurze Strecken mit vielen Starts und Landungen und benötigen ein leistungsfähiges Hochauftriebssystem mit wenig Interferenzwiderstand im Steig- und Sinkflug. Daher entscheiden sich viele Hersteller beim Bau von Kurzstreckenflugzeugen für diese Anordnung.

Bei Geschäftsreiseflugzeugen kommt noch hinzu, dass man mit Triebwerken am Heck und einem entsprechend kurzem Fahrwerk auf Bodenfahrzeuge bei der Be- und Entladung verzichten kann, was einerseits Kosten spart und andererseits das Flugzeug flexibler macht. Darüber hinaus fliegen Geschäftsreiseflugzeuge im Reiseflug wesentlich schneller als normale Passagierflugzeuge. Deshalb ist der Flügel stärker gepfeilt (auch ein interessantes Thema!), was gleichzeitig aber auch eine Verschlechterung der Hochauftriebsleistung bedeutet. Daher ist bei Geschäftsreiseflugzeugen ein leistungsfähiges Hochauftriebsystem ohne störende Triebwerke notwendig.

Wenn euch irgendwelche Fragen auf dem Herzen liegen oder irgendwelche Themen brennend interessieren: Ich bin für Vorschläge immer offen!

 

 

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7 Kommentare

  1. Hi,
    ich hätte mal ne doofe Frage aber warum wurden noch nie in den Flügel integrierte Triebwerke in Betracht gezogen. Wäre das zu gefährlich wegen Explosionsgefahr?
    Aber an sich wäre es ja aerodynamischer oder?

    1. Im Flügel integrierte Triebwerke gab es beispielsweise bei der de Havilland Comet (1949). Bei den ersten Jet-Flugzeugen war das tatsächlich noch eine mögliche Lösung, da die Triebwerke keinen Nebenstrom hatten. Moderne Triebwerke mit hohen Bypass-Verhältnissen haben aber einen so großen Durchmesser, dass sie z.B. bei der Boeing 737MAX kaum unter den Flügel passen, geschweige denn in den Flügel selbst.

      An sich wäre es natürlich aerodynamisch vorteilhaft, keinen Klotz mit 3m Durchmesser unter dem Flügel hängen zu haben. Bei Kampfflugzeugen, wo es in erster Linie um die Flugleistungen geht, sind die Triebwerke ja meist irgendwie in den Rumpf integriert. Bei zivilen Flugzeugen gewinnt dann aber die Effizienz eines Triebwerks mit hohem Bypassverhältnis, was man in den klassischen Konfigurationen kaum in Rumpf oder Flügel integrieren kann. Mit Explosionsgefahr hat das aber nichts am Hut.

  2. Super Beitrag, allerdings etwas schade, dass die Konfiguration für Triebwerke auf dem Flügel nicht weiter betrachtet wurde.

    Finde dieses Thema sehr interessant. Einerseits mehr Passagierlärm, andererseits weniger Bodenlärm, …

    1. Es gibt in der Tat viele sehr interessante Konfigurationen, die nicht weiter verfolgt worden sind. Ich finde die neuen Nurflüglerkonzepte auch sehr spannend!

      1. Interessant ja, aber mMn schwierig in der Umsetzung aufgrund von Notfallkonzepten und Treibstofftanks.
        Von Konzepten her fände ich einen Boxwing auch sehr interesant 😉
        Aber da ist halt noch viel Zukunftsmusik dabei.

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