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Fliegen Erklärt: Wann ist ein Flugzeug lufttüchtig?

American Airlines 777

Der nette Artikel von YHBU hat mich daran erinnert, dass mein letzter Blogeintrag über technische Aspekte des Fliegens schon etwas älter ist. Um die Reihe fortzusetzen, werfen wir in diesem Teil der Reihe Fliegen Erklärt einen Blick auf die Flugzeugwartung, genauer gesagt auf die Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit. Der Begriff der Lufttüchtigkeit wird ja gerade in den Medien und sozialen Netzwerken oft verwendet, vor allem im Zusammenhang mit Abstürzen oder etwas abenteuerlich wirkenden Reparaturen.. Dabei wissen die meisten gar nicht, was ein Flugzeug überhaupt lufttüchtig (oder eben nicht lufttüchtig) macht.

Germanwings A319
Prämienmeilen, Statusmeilen – was kriege ich denn nun?

Wer ist für die Lufttüchtigkeit verantwortlich?

Die Frage klingt zunächst einfach, aber der Teufel steckt im Detail. Ich erinnere mich noch an den Absturz der Germanwings-Maschine vor zwei Jahren. Die Unglücksmaschine D-AIPX stand vor dem Unfall als AOG (Aircraft On Ground = Luftfahrzeug nicht lufttüchtig/flugfähig) in Düsseldorf. Die entsprechende Beanstandung wurde durch die Lufthansa Technik behoben, der A320 wurde wieder im Linienbetrieb eingesetzt und ist auf dem zweiten Sektor abgestürzt. Nun war die Absturzursache nicht technischer Natur, aber wagen wir mal dieses Gedankenexperiment. Wer genau hat das Flugzeug wieder für lufttüchtig erklärt und hätte somit die Verantwortung getragen? Die Lufthansa Technik? Germanwings? Irgendeine Behörde? Ein Angestellter?

Um diese Frage zu beantworten, fangen wir am besten mit den Grundlagen an. Germanwings ist als deutsche Airline an die EASA-Regularien gebunden. Für die Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit gilt die Verordnung EC No. 1321 / 2014. Uns interessieren besonders folgende Teile:

  • Part M: Continuing Airworthiness
  • Part 145: Maintenance Organisation
  • Part 66: Certifying Staff

Wer sich ein bisschen mit dem Thema Luftrecht auseinandersetzt, wird diese Part-Bezeichnungen sehr oft hören. Es gibt beispielsweise noch Part 21 Zulassungen für Entwicklungsbetriebe wie Airbus. Wartungsbetriebe haben eine Part 145 Zulassung (wobei LHT auch ein Part 21 Betrieb ist und somit selbst gewisse Modifikationen, Reparaturkonzepte usw. entwickeln darf).

Für die Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit sind in der Regel Part M Betriebe, auch CAMO (Continuing Airworthiness Management Organisation) genannt, zuständig. Nur bei nicht kommerziell genutzten Kleinflugzeugen (<5,7t) braucht der Betreiber als Verantwortlicher zur Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit keine Part M Zulassung. Die meisten Betreiber kommerzieller Verkehrsflugzeuge wie Lufthansa, Easyjet oder Condor haben eine eigene CAMO, die sich um die eigene Flotte kümmert. Ein Betreiber kann die CAMO-Arbeiten aber auch an eine zugelassene Fremdfirma vergeben, LHT bietet diesen Service beispielsweise für VIP-Flugzeuge an. Eine CAMO übernimmt folgende Aufgaben:

  • Erfüllung sämtlicher Aufgaben zur Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit aller betreuten Flugzeuge
  • Erstellung und Einhaltung des Instandhaltungsprogramms (insbesondere Beauftragung aller notwendigen Inspektionen, Reparaturen, Instandhaltungsmaßnahmen usw. an einen zugelassenen Part 145 Betrieb)
  • Unterlagen und Aufzeichnungen zur betreuten Flotte aufbewahren (z.B. Modifikationen, Reparaturen, Techlogs)

Das Instandhaltungsprogramm muss individuell von der Behörde (also in Deutschland vom LBA) genehmigt werden. Am einfachsten geht das, wenn man das vom Hersteller vorgeschlagene Programm 1:1 übernimmt. Die CAMOs einiger Airlines wie Easyjet weichen davon aber extrem ab: Die britische Low Cost Airline lässt die großen Letterchecks, bei denen das Flugzeug normalerweise wochenlang im Hangar verschwindet, weg. Stattdessen nutzt man die Nachtruhe, bei der die Flugzeuge eh am Boden stehen, um diese großen Wartungsereignisse auf das ganze Jahr zu verteilen. Ein Easyjet-Flugzeug ist nachts sehr oft im Hangar, während z.B. eine Germania mit ihrem stark saisonalen Geschäftsmodell die großen planmäßigen Wartungsaufgaben im Winter erledigen lässt, wenn die Flotte nicht so stark ausgelastet ist. Dann steht so eine 737 eben mal ein paar Wochen in der Wartung. Für Germania funktioniert dieses Instandhaltungsprogramm sehr gut, für Easyjet wäre das undenkbar.

Wir halten also fest: Die Lufttüchtigkeit eines Flugzeugs kann nur die zuständige CAMO feststellen. Im Falle der D-AIPX wäre das also Germanwings gewesen. Der beauftragte Part 145 Betrieb, der die Instandhaltung/Reparatur/etc. durchführt, schreibt zwar für das Flugzeug ein Certificate of Release to Service (CRS). Das CRS sagt aber nur aus, dass die beauftragten Arbeiten ordnungsgemäß durchgeführt worden sind. Wenn ein Part 145 Betrieb mit dem Wechsel einer Fahrwerksklappe beauftragt wird, schaut er sich den Rest des Flugzeugs ja nicht einmal an.

Ein nach Part 66 freigabeberechtigter Mitarbeiter stellt das CRS im Namen des Part 145 Betriebs aus. Im Falle der Germanwings-Maschine war das höchstwahrscheinlich ein Mechaniker. Dieses Freigabepersonal haftet im Fall der Fälle zivilrechtlich persönlich für die von ihnen freigegebenen Arbeiten. Die LHT bzw. der entsprechende Mitarbeiter wären also nur verantwortlich gewesen, wenn die Absturzursache direkt auf die von ihnen durchgeführten Arbeiten zurückzuführen gewesen wäre (z.B. Flugzeug stürzt wegen fehlerhaft eingebauter Bugfahrwerksklappe ab). Für alle anderen Probleme hinsichtlich der Lufttüchtigkeit eines Luftfahrzeugs ist die CAMO verantwortlich.

American Airlines 777
American Airlines 777

Wann ist ein Flugzeug (nicht) lufttüchtig?

Nach der oben erwähnten Verordnung ist ein Flugzeug lufttüchtig, wenn „nachgewiesen wird, dass es der in seiner Musterzulassung genehmigten Musterbauart entspricht und dass die einschlägigen Unterlagen, Inspektionen und Prüfungen belegen, dass das Luftfahrzeug die Voraussetzungen für einen sicheren Betrieb erfüllt.“ Lufttüchtigkeit muss also fortlaufend nachgewiesen werden und ist immer nur eine Momentaufnahme. Allerdings wird nur gefordert, dass das Luftfahrzeug sicher betrieben werden kann. Diese Formulierung erscheint vielleicht etwas schwammig, aber für jeden Flugzeugtyp ist genau definiert, was das heißt.

Dazu kann man die MEL (Minimum Equipment List) eines Flugzeugtyps konsultieren. Dort wird genau aufgelistet, welches Equipment mindestens funktionieren muss, um einen kommerziellen Flug durchführen zu können und welche Einschränkungen sich ggf. ergeben. Schauen wir uns mal ein paar Beispiele an:

  • Ein kaputter IFE-Bildschirm auf Sitz 19A ist zwar ärgerlich für den Fluggast auf Sitz 19A, aber nicht sicherheitsrelevant. Offensichtlich nicht sicherheitsrelevante Teile wie eben IFE-Bildschirme werden in der MEL nicht explizit aufgeführt; auch bei Defekten oder komplettem Fehlen dieser Teile darf kommerziell geflogen werden.
  • Für Flugzeuge der A320-Familie darf einer der beiden Fuel Quantity Indicating Computer System Kanäle (Computer für Treibstoffanzeigen) defekt sein. Der Defekt muss aber innerhalb von 48 Stunden nach Feststellung des Defektes behoben werden. Außerdem wird gefordert, dass das Low Level Warning System normal funktioniert und dass das Flugzeug nicht für Extended Range Flüge genutzt wird.

Für einen A320 ist die MEL fast 300 Seiten lang. So gut wie jedes Flugzeug hat irgendwelche Defekte, die nach MEL aber freigegeben worden sind. Bei einigen Problemen schafft man sich durch die MEL die Möglichkeit, das Flugzeug wieder an einen Ort fliegen zu können, wo man das Problem beheben kann. Wenn ein Lufthansa-Flugzeug in Timbuktu strandet, wäre das ungünstig, da man dort nur sehr limitierte Reparaturmöglichkeiten hat. Wenn man das Flugzeug mittels MEL-Freigabe aber noch nach Frankfurt zurückfliegen darf, ist das Problem plötzlich viel kleiner. Selbst Flugzeuge mit kaputten Generatoren und Treibstoffpumpen können grundsätzlich noch freigegeben werden, wenn auch mit vielen Einschränkungen und Preflight Tests. Ein A320 mit IAE Engines braucht zum Beispiel nur einen Engine Driven Generator, vorausgesetzt dass (unter anderem):

  • der APU Generator im Flug genutzt wird und normal funktioniert
  • der APU Ölstand für den Flug in Ordnung ist
  • Alle Busse betrieben werden können
  • Alle Indications und Warnings über die verbleibenden beiden Generatoren geprüft und als normal eingestuft worden sind
  • Das Flugzeug nicht höher als FL330 fliegt

Für alle Teile, die nach MEL nicht defekt sein dürfen, haben die meisten Airlines spezielle Verträge mit Logistikunternehmen getroffen. Diese garantieren dann beispielsweise, das entsprechende Teil im Notfall innerhalb von 24 Stunden an jeden beliebigen Ort der Welt zu liefern.

Andere Defekte haben keinen festen Zeithorizont für die Reparatur, d.h. das Flugzeug kann theoretisch ewig so weiterfliegen. Deren Reparatur wird dann „zurückgestellt“, also irgendwann bei Gelegenheit gemacht.

Zusammenfassung

Die nach Part M zugelassene CAMO ist für die Feststellung und Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit zuständig. Die CAMO ist meistens Teil der Organisationsstruktur des Betreibers und beauftragt Wartungsbetriebe mit Part 145 Zulassung mit der Durchführung der Arbeiten, die zur Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit notwendig sind (z.B. beauftragt Lufthansa die Lufthansa Technik). Der Wartungsbetrieb gibt die erledigten Arbeiten frei. Die nach Part 66 freigabeberechtigten Mitarbeiter sind persönlich haftbar.

Das Flugzeug ist dann lufttüchtig, wenn nachgewiesen ist, dass es sicher betrieben werden kann. Die Nachweise erfolgen über das behördlich genehmigte Instandhaltungsprogramm. Dabei kann das Luftfahrzeug gewisse Mängel aufweisen, die (hauptsächlich) nach MEL freigegeben werden.

Wenn euch irgendwelche Fragen auf dem Herzen liegen oder irgendwelche Themen brennend interessieren: Ich bin für Vorschläge immer offen!

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