Drei Mythen zur Sicherheit im Luftverkehr aufgedeckt!
Heute morgen ist eine Maschine der Saratow Airlines kurz nach dem Start in Moskau-Domodedowo abgestürzt. Alle 71 Insassen der Antonow An-148 kamen ums Leben. An Spekulationen um die Absturzursache möchte ich mich nicht beteiligen, aber in den Medien werden wieder pauschalisierende Aussagen zur Luftsicherheit getroffen, die ich nicht unkommentiert lassen möchte.
So schreibt zum Beispiel Spiegel Online:
Flugzeugabstürze sind in Russland keine Seltenheit. Verantwortlich sind neben Pilotenfehlern und schlechtem Wetter oftmals auch der Einsatz von alten, schlecht gewarteten Maschinen.
Zwar ist es grundsätzlich richtig, dass Russland eine im Vergleich zur EU schlechtere Sicherheitsbilanz vorzuweisen hat. Die gesamte russische Zivilluftfahrt über einen Kamm zu scheren, ist aber falsch. Gehen wir die Punkte einzeln durch:
Airlines aus ärmeren Ländern sind generell unsicher(er)
Hier muss man sich zunächst fragen, wie genau die Statistiken geführt werden. Sicherheit ist immer ein Zusammenspiel aus allen an der Fliegerei beteiligten Faktoren. Dazu gehört neben der Airline auch das Umfeld, in dem sie Flüge durchführt. Neben geographischen Aspekten gehört dazu tatsächlich auch die wirtschaftliche und politische Situation der angeflogenen Länder.
Zwar lassen die Statistiken der ICAO, IATA usw. durchaus die Schlussfolgerung zu, dass ärmere Länder generell eine schlechtere Sicherheitsbilanz haben. Die Probleme liegen aber zu großen Teilen außerhalb des Einflussbereichs der Fluggesellschaften. Wie bewertet man zum Beispiel:
- Pilotensuizide,
- Terrorangriffe,
- Entführungen,
- mangelhafte Infrastruktur oder menschliches Versagen an Flughäfen,
- Unfälle, die durch andere Luftverkehrsteilnehmer oder ATC verursacht wurden,
- Vorfälle aufgrund extremer Witterungsbedingungen,
- mangelhafte Arbeit der zuständigen Behörden oder
- Konstruktions- und Herstellungsfehler am Flugzeug?
Einige der genannten Aspekte beeinflussen eben hauptsächlich Airlines aus Staaten der Dritten Welt. Dennoch schaffen es immer wieder Fluggesellschaften aus solchen Staaten, hervorragende Sicherheitsbilanzen vorzuzeigen. LAN Chile fliegt seit 1991 unfallfrei. Die kolumbianische Avianca hat sich seit 1990 abgesehen von zwei Terrorattacken in den 90er Jahren nichts zu Schulden kommen lassen. Bei South African Airways liegt der letzte Unfall 50 Jahre zurück. Die brasilianische Billigairline GOL hat in ihrer ganzen Unternehmensgeschichte nur einen Unfall gehabt, an dem die Crew absolut keine Schuld traf. Selbst Ethiopian Airlines hat angesichts des Umfelds eine erstaunlich gute Sicherheitsbilanz: In den letzten 25 Jahren hat die Airline nur 3 Entführungen und einen selbst verschuldeten Totalverlust zu verbuchen. Air France dagegen hatte zwischen 2000 und 2010 gleich 3 Totalverluste, mindestens zwei davon komplett selbst verschuldet.
Pauschalisierende Aussagen lassen sich höchstens für Regionen oder Länder treffen, aber eine Airline muss nicht zwangsweise unsicher sein, nur weil sie aus einem bestimmten Land kommt.
Die Qualität der Pilotenausbildung variiert stark von Land zu Land
Die meisten Flugzeugabstürze lassen sich auf Pilotenfehler zurückführen. Da ist es naheliegend, der Ausbildung der Piloten in anderen Ländern zu hinterfragen.
Grundsätzlich gelten für alle Flugschulen die Regeln der entsprechenden Behörde. Was die Ausbildung von Piloten sowie die Zulassung, den Betrieb und die Wartung von Flugzeugen angeht, orientieren sich die meisten Behörden allein schon aus Kostengründen an der amerikanischen FAA und der europäischen EASA.
Nun gibt es immer mal Vorfälle wie in Indien, wo Logbücher gefälscht werden und Flugschüler schon mit 35 Minuten Erfahrung ihre Lizenz bekommen. Dennoch liest man regelmäßig gerade aus diesen Ländern, wie Piloten exzellente fliegerische Fähigkeiten zeigen: Der russischen Crew einer Tupolew Tu-154M gelang nach einem Totalversagen der Bordelektronik und Treibstoffpumpen eine Notlandung an einem geschlossenen Flughafen mit zu kleiner Landebahn – ohne Verletzte.
Viel schwerwiegender sind Probleme mit der Cockpithierarchie. In einem modernen Zwei-Mann-Cockpit ist Teamwork gefragt; beide Piloten sind gleichwertig. Das soll heißen, dass auch ein Co-Pilot z.B. ein Durchstarten anordnen kann. Gerade in Ländern, wo die Piloten ziviler Airlines hauptsächlich ehemalige Militärflieger sind, kann das zu Problemen führen. Diese sind nämlich aus ihrer Zeit beim Militär ganz andere Arbeitsabläufe gewohnt und werden oftmals nicht hinreichend umgeschult. In einigen asiatischen Ländern gibt oder gab es ähnliche Probleme aufgrund der kulturellen Hierarchie. Korean Air hatte in den 90er Jahren mehrere schwere Unfälle, weil Co-Piloten sich nicht trauten den Kapitän zu verbessern oder dieser nicht Folge leistete. Mittlerweile wurden diese Hierarchieprobleme mithilfe von externen Beratern beseitigt und Korean Air fliegt unfallfrei.
Es gibt also tatsächlich Unterschiede zwischen den Ländern, die aber selten etwas mit der Ausbildung zu tun haben, sondern vielmehr mit den sogenannten Human Factors und der Unternehmenskultur.
Alte Flugzeuge sind unsicher
Diese Aussage wird ja bei jedem Flugzeugunglück wiederholt, selbst wenn sie wie bei der heute verunglückten Maschine ohne Diskussion fehl am Platz ist. Die Antonow war erst 8 Jahre alt.
Generell gilt, dass ein Flugzeug bei fachgerechter Wartung auch nach 30 Jahren genauso sicher ist wie am Tag der Auslieferung. Natürlich wird die Wartung mit der Zeit teurer, da erstens große geplante Wartungsereignisse anstehen und zweitens die Technik mit dem Alter anfälliger für Fehler wird. Wichtig ist, dass alle Wartungsarbeiten richtig durchgeführt werden, was in einigen Ländern allerdings problematisch ist. Der Iran ist durch die internationalen Sanktionen weitestgehend von der Ersatzteilversorgung für Flugzeuge abgeschnitten. Dass die Ingenieure von Iran Air die Flugzeuge trotzdem lufttüchtig halten, ist schon bemerkenswert.
Ganz falsch ist die Aussage allerdings nicht: Alte Flugzeugmodelle sind tendenziell unsicherer als neuere (von Kinderkrankheiten abgesehen). Zwischen einer Boeing 707 und 787 liegen mehr als 50 Jahre, sodass in die Entwicklung der 787 viel mehr Erfahrung und Technologien eingeflossen sind.
Hier rede ich nicht einmal nur von Ausfallwahrscheinlichkeiten der Triebwerke oder anderen Vorfällen von technischem Versagen. Moderne Assistenzsysteme tragen maßgeblich zur Sicherheit im Luftverkehr bei. Neben einigen Systemen wie dem Kollisionswarnsystem TCAS, was auch in älteren Flugzeugen verpflichtend nachgerüstet werden muss, gibt es andere Technologien wie das EGPWS (Enhanced Ground Proximity Warning System, Warnsystem für Bodenkollisionen), die nicht nachgerüstet werden müssen. Dabei gibt es durchaus Vorfälle, wo durch diese Technologien leben gerettet wurden: Eine Boeing 777 der Air France wäre 2015 in Kamerun fast gegen einen Berg geflogen, wurde aber durch eine EGPWS-Warnung gerettet.
Neuere Flugzeuge bieten also schon etwas mehr Sicherheit, allerdings vielmehr durch die neuen Technologien und Sicherheitssysteme als durch ihr Alter an sich.
Fazit
Zusammenfassend kann man sagen, dass solche pauschalisierten Aussagen nicht auf alle Airlines zutreffen. Dennoch ist es richtig, dass moderne Technik sowie ein gutes Betriebsumfeld die Sicherheit verbessern. Gerade letzteres können die Fluggesellschaften aber nur bedingt ändern. Man muss sich bewusst sein, dass die Fluggesellschaften nur ein Teil eines Systems sind und für die sichere Durchführung ihrer Flüge auf die Hilfe anderer Teilnehmer angewiesen sind.
sehr guter beitrag! zur hoelle mit den vorurteilen!