Fliegen Erklärt: Welches Triebwerk wird zuerst gestartet?
Ein kommerzielles Verkehrsflugzeug hat ja normalerweise mehr als ein Triebwerk. Diese werden meist mit Druckluft gestartet, die entweder über die APU (Auxilliary Power Unit), also der Hilfsgasturbine im Heck, oder über eine externe Quelle bereitgestellt wird. Generell werden die Triebwerke aber nicht gleichzeitig, sondern hintereinander gestartet. Aber wieso eigentlich? Und wer bestimmt die Reihenfolge? Dieser Frage gehen wir in diesem Teil der Reihe Fliegen Erklärt ein, in der ich als angehender Ingenieur der Luftfahrttechnik Fragen rund um die Fliegerei beantworte.
Kann ein Flugzeug alle Triebwerke gleichzeitig starten?
Das kommt ganz auf das Flugzeug (und den Piloten) an. Um ein Triebwerk starten zu können, muss erstmal genug Druckluft für den Start bereitgestellt werden können. Grundsätzlich gilt es nämlich, einen sogenannten Hot Start zu vermeiden. Ein Hot Start bezeichnet einen Startvorgang, bei dem die Verbrennung gestartet wird, bevor genug Luft durch das Triebwerk läuft. Das kann zu Überhitzungen und damit zu Beschädigungen des Triebwerks führen. Daher wird das Triebwerk durch einen Starter auf 10-30% N1 (Wellendrehzahl der Niederdruckwelle) angedreht, bevor die Piloten die Treibstoffzufuhr anschalten und damit den Verbrennungskreisprozess in den Gang setzen. Dann dreht nämlich die Welle schnell genug, damit die Verdichterstufen genug Luft in die Brennkammer schaufeln. Hier könnt ihr einen Triebwerksstart bei Youtube sehen.
Dieser Starter ist meist ein mechanisches Getriebe im Triebwerk, das über Druckluft angetrieben wird. Diese kommt wie gesagt meistens von der APU, kann aber auch von einem bereits laufenden Triebwerk abgezapft werden. Das nennt sich dann Cross-Bleed Start und wird hauptsächlich dann eingesetzt, wenn man im Flug ein Triebwerk neu startet. Am Boden setzt man aber fast immer auf die APU. Hat ein Flugzeug eine starke APU, können auch mehrere Triebwerke gleichzeitig gestartet werden. Soweit ich weiß, hat United Airlines dieses Vorgehen auf der 777 eingesetzt (und tut es womöglich noch immer). Klar, je schneller die Triebwerke laufen, desto eher kann das Flugzeug in Richtung Startbahn rollen. Das kann ein bisschen Zeit sparen.
Abgesehen von der technischen Machbarkeit hängt es auch von den Piloten ab. Diese sind dafür verantwortlich, den Triebwerksstart zu überwachen. Die wichtigsten Parameter, die es zu überwachen gilt, sind die Drehzahl N1, die Abgastemperatur EGT, der Öldruck und eventuell die Engine Pressure Ratio. Im richtigen Moment wird dann die Treibstoffzufuhr eingeschaltet. Das ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, immerhin kostet ein Triebwerk schnell mal 12 Mio. €. Den Triebwerksstart für mehrere Triebwerke gleichzeitig einzuleiten und zu überwachen ist deshalb in der Regel unnötiger Stress, sodass bei den meisten Airlines eine feste Startreihenfolge festgelegt ist.
Welches Triebwerk wird zuerst gestartet?
Und das bringt uns zur nächsten Frage: Ist die Startreihenfolge beliebig? Es kommt wie immer auf das Flugzeug an, aber in der Regel ist sie das nicht. Manche sind dazu geneigt, historische Gründe anzuführen. Wenn das Steuerbordtriebwerk (Nummer 2) zuerst gestartet wird, wird gerne angeführt, dass der Kapitän ja links sitzt. Als erfahrener Pilot kann er das erste Triebwerk dann beim Startvorgang hören und das zweite immerhin noch sehen. Oder es wird darauf hingewiesen, dass von links geboardet wird, und man dann ja während des Boardings schon mal gefahrlos das rechte Triebwerk anwerfen kann. Angesichts der Tatsache, dass auf Steuerbordseite meist Cateringtrucks, Gepäckverladewagen usw. stehen, ist das eine zumindest zweifelhafte Behauptung. Ein Funke Wahrheit ist vielleicht dran, aber meistens hat die Startreihenfolge einfach technische Gründe.
Beim A320 zum Beispiel wird Triebwerk Nummer 2 (Steuerbord) in der Regel zuerst gestartet. Der A320 hat drei Hydrauliksysteme (gelb, grün und blau). Das Triebwerk Nummer 2 bedruckt das gelbe Hydrauliksystem, zu dem die Parkbremse gehört. Mit laufenden Triebwerken und ohne Parkbremse würde das Flugzeug anfangen zu rollen. Falls nun der Pushbackvorgang beendet ist, bevor beide Triebwerke laufen, sollte man auf jeden Fall schon Druck auf der Parkbremse haben. Daher wird das Triebwerk Nummer 2 in der Regel zuerst gestartet.
Es gibt allerdings eine Ausnahme: Das Single Engine Taxi, also das Rollen zur Startbahn mit nur einem Triebwerk. Da die normalen Bremsen und die Bugradsteuerung über das grüne Hydrauliksystem bedient werden, könnte man nur mit dem rechten Triebwerk nicht zur Startbahn fahren – das grüne Hydrauliksystem hätte ja keinen Druck. Falls man solch ein Single Engine Taxi plant, wird also Triebwerk Nummer 1 (Backbord) zuerst gestartet, da an diesem Triebwerk das grüne Hydrauliksystem hängt. Dann kann man zwar nach dem Pushbackvorgang nicht die Parkbremse setzen und muss manuell auf der Bremse stehen, kann aber mit nur einem laufenden Triebwerk zur Bahn rollen. Das zweite Triebwerk wird dann später erst gestartet, kurz bevor es los geht. Das kann eine Menge Sprit sparen.
Wenn euch irgendwelche Fragen auf dem Herzen liegen oder irgendwelche Themen brennend interessieren: Ich bin für Vorschläge immer offen!
Vielen Dank für den interessanten Beitrag. Was mich dann aber interessieren würde wie ist dann beim A320 ein Single Engine Taxi nach der Landung zurück zum Gate möglich? Er braucht ja das linke Triebwerk für Bremse und Bugradsteuerung und das rechte später um nach dem Einrollen in die Parkposition die Parkbremse zu setzen.
Und zum Lösen der Parkbremse vor dem Push back reicht die APU?
In dem Fall kann das gelbe System über eine elektrische Pumpe bedruckt werden, damit die Parkbremse gesetzt werden kann. Theoretisch kann mit einem funktionierenden System das andere über die Pressure Transfer Unit (PTU) bedruckt werden (das, was beim Triebdwerksstart dieses Bellen verursacht), aber gerade wenn z.B. Gelb über die elektrische Pumpe betrieben wird, kann es da zu Druckschwankungen kommen. Dann ist nicht mehr gewährleistet, dass die Bugradsteuerung immer genug Druck hat. D.h. beim Single Engine Taxi kommt man ohne PTU aus, wenn man Grün über Engine 1 und Gelb bei Bedarf über die elektrische Pumpe bedruckt. Wenn man aber eh beide Triebwerke startet, dann kann man sich den Zwischenschritt mit der elektrischen Pumpe sparen und erstmal Engine 2 starten, um die Parkbremse zu setzen.
Die Parkbremse braucht Hydraulikdruck im Akkumulator, um zu funktionieren, d.h. lösen kann man sie immer, solange man Strom hat. Sonst würde man ja bei einem Hydraulikdruckverlust im Flug zwangsweise mit angezogener Parkbremse landen müssen. Das hat natürlich zur Folge, dass der Akkumulator die Parkbremse nicht bis in alle Ewigkeit bedrucken kann (so weit ich weiß sind 12 Stunden garantiert).
herzlichen Dank für die Erklärung. Ja das dachte ich eben bisher auch dass die PTU das ausgleicht (wozu erträgt man auch sonst das nervige Gebelle der A320 Familie wenn nur ein Triebwerk läuft :-D) nur mich irritierte eben weil Du im Beitrag geschrieben hattest bei nur dem linken Triebwerk KANN die Parkbremse nicht gesetzt werden sondern der PF muss manuell auf der Fußbremse bleiben.
mich würden in diesem Zusammenhang noch ein paar Fragen zu Deinem sehr interessanten Artikel interessieren:
1. Du schriebst ja, dass erst bei einer gewissen Drehzahl, die Spritzufuhr eingeschaltet (und ich denke mal danach der Anlasser abgeschaltet) wird. Aus Deinem Text entnehme ich, dass die Piloten dies manuell schalten. Ich habe aber mal irgendwo gelesen, dass der Anlassvorgang komplett automatisch geht, die Piloten ihn nur überwachen. Was stimmt denn nun? – Oder ist es ggf. ein Unterschied zwischen Boeing und Airbus? – Bei Boeing muss ja z. B. die AC manuell von den Piloten vor dem Triebwerkstart abgeschaltet werden, während dies bei Airbus automatisch erfolgt…
2. Zwischen den beiden Triebwerkseinschaltern ENG1 und ENG2 gibt es ja so einen Drehschalter mit den Positionen CRANK/NORM/ING START – zum Anlassen wird er offenbar auf die rechte Position ING START gestellt. Was aber bedeutet welche Position? – CRANK heißt doch auch „anlassen“?
3. wie kann es sein, dass bereits nach dem Touchdown die PTU anspringt? – Es kann doch nicht sein, dass hier schon ein Triebwerk abgeschaltet wird – im Falle eines Touch & Go wäre das ja tödlich außerdem werden ja sicher beide Engines für den Umkehrschub benötigt https://www.youtube.com/watch?v=6VFuStgFWjQ
1. Genau, das kommt ganz auf den Flugzeugtyp an. Moderne Boeing-Flugzeuge wie die 787 haben auch eine Autostart-Funktion. Die 737NG hat das aber im Vergleich zum A320 nicht. Das ist aber nicht wegen unterschiedlichen Designphilosophien sondern wegen dem Alter der 737.
2. Der Drehschalter ist für den Zündungsmodus. NORM ist der normale Betriebsmodus und schaltet in bestimmten Flugkonditionen automatisch auf Dauerzündung (z.B. Engine surge oder stall). IGN/START zündet, wenn die Master-Switches ON sind. Der Startvorgang erfolgt normalerweise automatisch, aber es gibt einen manuellen Modus, den man im Overhead Panel aktivieren kann. CRANK dreht das Triebwerk ohne Zündung an. Das ist zum Beispiel notwending, um Treibstoffreste nach einem Fehlstart aus dem Triebwerk zu jagen. „Cranken“ ist auch bei Tailpipe Fire erforderlich, d.h. wenn sich nach dem Abstellen des Triebwerks Treibstoff an heißen Stellen der Turbine und dem Auslass entzündet. Mit dem CRANK-Modus erzeugt man wieder einen Luftstrom, damit sich das Feuer nicht verbreitet. Theoretisch kann man das im A320 auch mit IGN/START machen, solange man im manuellen Modus ist und nicht zündet. Der CRANK-Modus dient eher als zusätzliche Sicherheitsebene.
3. Ein paar mögliche Gründe, die mir dazu einfallen:
– PTU-Fehlfunktion (entweder zufällig oder bekannt und Flugzeug fliegt mit Minimum Equipment List)
– PTU Selbsttest
– PTU ausgelöst, weil Gelb und Grün eh stark unterschiedliche Drücke im Betriebslimit von 500 psi Differenz hatten (z.B. 2800 psi/3200 psi) und durch die vielen Hydraulikvorgänge im Anflug, die kurzzeitige Druckschwankungen verursachen können, wurde die PTU ausgelöst
– Sensorfehler hat die PTU angeworfen…
Ist aber alles Spekulation.
Die Parkbremse kann gesetzt werden, wenn die elektrische Pumpe für den gelben Kreislauf läuft. Die muss aber manuell angeschaltet werden. Wenn man eh beide Triebwerke startet, ist das unsinnig. Für ein längeres Single Engine Taxi macht man das aber.
Herzlichen Dank für Deine ausführlichen Antworten. Ich vermute mal, Du bist Pilot oder Flugzeugtechniker so gut wie Du Dich auskennst?
Gerne! Ich bin leider kein Pilot, sondern habe Luft- und Raumfahrttechnik studiert und arbeite in der Branche. Ich kann also den A320 nicht selber fliegen, aber weiß so halbwegs, wie er funktioniert 😉
Viele Grüße!
also wenn Du im Flugzeug bist, können beide Piloten ausfallen und trotzdem kann sicher gelandet werden 😉
Was mich diesbezüglich aufgrund der aktuellen Situation noch interessieren würde: wenn die Parkbremse nur gesetzt werden kann wenn das rechte Triebwerk läuft oder das linke i. V. mit der PTU-Pumpe, wie wird das dann aktuell bei den aufgrund von Corona parkenden Flugzeugen gemacht, die ja damit die Reifen nicht beschädigt werden einmal pro Woche von einem Pushback-Truck ein bisschen hin- und hergezogen werden? Da muss ja auch danach wieder die Parkbremse gesetzt werden und ein Triebwerk wird dazu ja ganz sicher nicht angelassen
Sorry für die späte Antwort!
Bei Flugzeugen, die länger abgestellt werden, funktioniert in der Tat irgendwann die Parkbremse nicht mehr. Mit den Bremsklötzen („Chocks“) rollt das Flugzeug aber nicht weg. Wird auch direkt von Airbus so empfohlen: https://safetyfirst.airbus.com/aircraft-parking-and-storage/
Hallo Paul,
Sorry, Du hast natürlich alles richtig beschriben. Hatte da einen Logikfehler.
Beste Grüße
Stefan
Hallo Paul,
Danke auch von meiner Stelle für Deine sachlichen und – wenn nötig – objektivierten und sachlichen Beschreibungen. Zum Artikel “ welches Triebwerk wird zuerst gestartet“ habe ich allerdinga ein Verständnisproblem: Im Normalen Güterverkehr heißt „kein Druck = Bremse geschlossen“
In Deiner o.g. Beschreibung erschließt sich das für mich nicht. Kannst Du mir das nochmal erklären?
Liebe Grüße,
Stefan (Emerald Oneworld Member)
Hallo Stefan,
danke für dein Feedback! Ich möchte trotzdem kurz auf deine Frage eingehen, weil sie einen ganz interessanten Aspekt hervorhebt: Beim Flugzeug kommen im Vergleich zum Zug für dieselbe Funktion (Bremse) zwei ganz unterschiedliche Systemarchitekturen zum Einsatz.
Bei einem Zug hat jeder Waggon eigene Radbremsen, die aber zentral vom Lokführer betätigt werden. Da man bei abgekoppelten Waggons die Bremsen nicht manuell betätigen kann, ist die Systemlogik „Kein Druck = Bremse geschlossen“ erwünscht. Dann haben abgestellte Waggons (oder im Extremfall, wenn während der Fahrt die Kupplung versagt und sich ein Teilzug abkoppelt) automatisch geschlossene Bremsen, da sich die Hauptdruckluftleitung abkoppelt und der Druck entweicht. Um den Zug zu bewegen, braucht man also definitiv Druck auf der Hauptleitung der Druckluftbremsen. Wenn dort der Druck abfällt, bremst der Zug. Das ist eine weitaus sichere Systemarchitektur als wenn der Zug in diesem Fall nicht mehr bremsen könnte.
Ein Flugzeug dagegen hat mehrere Systeme, die zur Verzögerung am Boden beitragen (Radbremsen, Umkehrschub und Spoiler), sodass ein Ausfall der Bremsen kompensiert werden kann. Hingegen wäre es fatal, bei einem Ausfall des entsprechenden Hydrauliksystems die Bremse nicht mehr lösen zu können (eine Landung mit zwangsweise angezogener Parkbremse ist mehr als nur ein kleines Problem). Daher ist hier die Systemlogik „kein Druck = Bremse offen“ richtig. Mit einem Hydrauliksystem ist das auch sehr einfach umsetzbar. Auch die Parkbremse braucht Druck, der nach Abschalten der Hydraulikpumpen über einen Akkumulator zwar noch für mind. 12h aufrechterhalten werden kann, aber die Chucks sind tatsächlich nicht nur Deko. Hier ist noch ein Beitrag, in dem ich mehr zum Hydrauliksystem schreibe.
Grüße
Paul
Gut geschrieben. Mehr davon 😉
Danke – mehr ist unterwegs! 😉