Quo vadis, Boeing?
Boeing hat es momentan nicht leicht. Der Hauptkonkurrent des europäischen Flugzeugbauers Airbus hat zumindest in der Zivilsparte massive Probleme und kommt auch in den Medien nicht gut weg. Doch wo liegen eigentlich genau die Probleme?
Regionalflugzeuge
Das kleinste Marktsegment, das momentan von Airbus bedient wird, ist der Regionalflugzeugmarkt. Mit dem Airbus A220 haben die Europäer ein Flugzeug im Programm, für das Boeing keinen direkten Konkurrenten hat. Der A220 ist mit 108-160 Sitzplätzen und einer Reichweite von etwa 6.000 km etwas unterhalb der A320-Familie angesiedelt.
Ursprünglich wurde die Modellreihe von Bombardier als C-Series entwickelt. Das Programm wurde aber wegen finanzieller Schwierigkeiten aus der Firma ausgegliedert. Seit Juli 2018 wird das Flugzeug als Airbus A220 vermarktet, da Airbus 50,01% der Anteile am Programm hält. Der Rest wird vom Bombardier (31%) und der kanadischen Provinz Québec gehalten.
Boeing hat mittlerweile in Joint Venture mit dem brasilianischen Regionalflugzeugbauer Embraer angekündigt. Scheinbar konsolidiert sich der Flugzeugbau also auch im Regionalflugzeuggeschäft auf das Airbus-Boeing-Duopol. Boeing liegt hier nur im Zeitplan zurück (das Joint Venture wird vermutlich erst im März 2020 genehmigt), aber der A220 und die Embraer E-Jets sind beides moderne Baureihen.
Narrowbodies
Die größte Problemstelle für Boeing ist ohne Frage das Narrowbody-Segment (Flugzeuge mit schmalem Rumpf, d.h. mit nur einem Mittelgang in der Kabine). Mittlerweile sind wir alle mehr als genug über die Probleme der 737 MAX informiert, aber um es hier nochmal kurz zusammenzufassen:
Die modernste Version der 737 basiert noch immer auf dem Design der Ursprungsversion aus den 60er Jahren. Besonders mit den modernen Triebwerken, die einen im Vergleich zu damals viel größeren Durchmesser haben, gibt es deshalb Platzprobleme, die sich auch auf die Flugeigenschaften auswirken. Bei der 737 MAX hat man verstärkt auf Softwarelösungen für Hardwareprobleme gesetzt und dabei auch noch Fehler gemacht, die letztlich zu zwei Abstürzen geführt haben. Auch mit den besonders langen Varianten der 737 (737-900 und vermutlich auch mit der zukünftigen MAX 10) hat es immer mal wieder Probleme mit dem Schwerpunkt gegeben.
Airbus hat das Problem beim A320 dagegen nicht. Das Design stammt aus den 80er Jahren und kommt daher mit modernen Technologien weitaus besser klar. Besonders die gestreckte Version (A321) mit ihren neuen Langstreckenversionen entpuppt sich mittlerweile als ernsthafte Alternative für die alternde Boeing 757, die bislang keinen wirklichen Ersatz hatte. Boeing hatte zwar eine komplette Neuentwicklung für dieses Segment geplant, aber spätestens mit der kürzlich angekündigten Bestellung von 50 A321XLR durch United Airlines dürfte klar geworden sein, dass Airbus dieses Segment vorerst dominieren wird.
Widebodies
Im Widebody-Geschäft setzt Boeing hauptsächlich auf die Boeing 787 und die Boeing 777. Zwar werden auch die 747-8i und die 767 weiterhin produziert, aber hauptsächlich als Militärmaschinen bzw. Frachter.
Die 777 und die 787 verkaufen sich ohne Frage gut, aber auch hier läuft nicht alles rund. Die 787 hatte erst ewig mit Verzögerungen zu kämpfen und tauchte auch nach der Zulassung wegen der Batterieprobleme immer mal wieder negativ in den Schlagzeilen auf. Die neue Variante der 777, die 777X, hat Probleme in der Zulassungskampagne und verliert mehr und mehr Bestellungen.
Hier stellt sich die Frage, ob Boeing in Zukunft weiterhin die Oberhand im Widebody-Geschäft behalten kann. Im Jahr 2018 hatte Boeing noch 1188 offene Widebody-Bestellungen in den Auftragsbüchern, während Airbus nur auf 1041 kam (dafür aber im Narrowbody-Segment mit 6536 zu 4763 offenen Bestellungen vorne lag).
Auch wenn der Airbus A380 wohl am Ende ist, laufen die Baureihen A350 und A330neo gut. Der A350 kommt zwar nicht an die Kapazität einer 777-9 heran, aber Flugzeuge mit sehr hoher Passagierkapazität laufen momentan eh nicht gut.
Wie geht es bei Boeing weiter?
Boeing hat momentan zwei große Baustellen: die 737 MAX und die 777X. Einerseits muss natürlich die 737 MAX so schnell wie möglich wieder zugelassen werden. Andererseits wird man den Vertrauensverlust mit der MAX nicht wieder rückgängig machen können. Es wird jetzt daher auch stark darauf ankommen, wie schnell man die 777X zugelassen bekommt und wie verlässlich sich diese im Alltag erweist. Für Boeing steht viel auf dem Spiel.
Mittelfristig muss man sich in Seattle überlegen, wie man im Narrowbody-Segment wieder Anschluss gewinnt. Um eine kostspielige Neuentwicklung wird man nicht herumkommen, aber vor der Indienststellung der 777X und der Rezertifizierung der 737 MAX wird das kaum möglich sein. Im Widebody-Segment scheint zwar auch nicht überall die Sonne, aber momentan ist man dort zumindest konkurrenzfähig.
Früher oder später muss auch Airbus ein neues Narrowbody-Modell entwickeln. Die Europäer sind aber in einer weitaus komfortableren Position und können noch etwas abwarten, bis gewisse Technologien wie Laminarflügel oder Hybridantriebe marktreif sind. Boeing steht dagegen unter Zeitdruck und muss handeln. Mal schauen, wie die Antwort aus Seattle aussehen wird.