US Air Force fängt gestohlenes Regionalflugzeug in Seattle ab
Gestern wurde der Flughafen Seattle-Tacoma (SeaTac) zum Schauplatz eines sehr traurigen Ereignisses. Eine Bombardier Q400 der Horizon Air, des Regionalpartners von Alaska Airlines, hob ohne Starterlaubnis und ohne eingereichten Flugplan ab. Die Maschine wurde von zwei F15 der US Air Force aus Portland abgefangen und stürzte wenig später in der Puget Sound Region ab. Es befanden sich keine Passagiere an Bord.
Was zunächst nach einem bizarren Vorfall klingt, ist in Wirklichkeit auf mehreren Ebenen mehr als besorgniserregend. Wie die zuständige Polizeibehörde auf Twitter mitteilte, handelte es sich um einen Suizid eines Mitarbeiters der Horizon Air. Da ein Laie wohl kaum eine Q400 starten kann, wird es sich um einen Piloten, Mechaniker o.ä. gehandelt haben.
Durch die schnelle Reaktionszeit der US Air Force wurde womöglich noch Schlimmeres verhindert. Zwar wissen wir nichts Genaues über die Absichten des Piloten der Q400, aber ein Crash in einem Wohngebiet wäre katastrophal gewesen.
Andererseits ist es Aufgabe der Flugsicherung und ggf. des Flughafenbetreibers, nicht authorisierte Flugzeugbewegungen zu unterbinden. Neben dem offensichtlichen Risiko eines vorsätzlich handelnden Terroristen oder wie in diesem Fall eines Suizides kommt es regelmäßig zu Zusammenstößen und anderen Zwischenfällen mit rollenden Flugzeugen, die es zu verhindern gilt. Typische Vorfälle sind:
- Flugsicherung gibt fehlerhafte Rollanweisungen
- Kommunikationsfehler zwischen Flugsicherung und Piloten
- Piloten „verirren“ sich durch fehlende Ortskenntnis, schlechte Sicht, fehlerhafte Karten o.ä. (z.B. Abbiegen auf falschen Taxiway)
- Piloten ignorieren Verkehrsregeln (z.B. Kreuzen einer Startbahn ohne Freigabe)
- Flugzeugtyp ist nicht kompatibel mit Rollanweisungen (z.B. passt ein A380 nicht auf jeden Taxiway)
In diesem Zusammenhang wird in Projekten wie SESAR an Konzepten geforscht, wie das Management von rollenden Flugzeugen verbessert werden kann.
- Piloten könnten statt per Funk übermittelter Rollfreigaben vom Computer errechnete Routen erhalten und diese visuell auf einem Bildschirm im Cockpit sehen. So werden die Koordination zwischen den rollenden Flugzeugen verbessert,die Wahrscheinlichkeit von fehlerhaften Rollanweisungen reduziert sowie die Wahrscheinlichkeit von Kommunikationsfehlern reduziert.
- In einem zweiten Schritt könnten die Flugzeuge selbstständig zur Startbahn bzw. zur Parkposition rollen und so den Anteil menschlicher Fehler weiter reduzieren.
- Für den Fall von nicht authorisierten Bewegungen könnten ausfahrbare physische Barrieren, Spikes o.ä. in die Rollwege eingebaut werden, die bei Bedarf ausgefahren werden können. So könnte man beispielsweise auch entführte Flugzeuge zu vorbereiteten Parkpositionen lotsen.
Außerdem sollte die psychologische Betreuung für Piloten und andere Airlinemitarbeiter verbessert werden. Dieser Vorfall ist leider nicht der erste Suizid mit einem Flugzeug. Am 24.03.2015 kostete der erweiterte Suizid eines Germanwings-Piloten 150 Menschenleben. Auch das Verschwinden von MH370 wird mittlerweile von vielen Experten als erweiterter Suizid gewertet.
In den USA ist die Suizidrate in den letzten Jahren nachweislich angestiegen. Das Thema Suizid ist insbesondere in den Vereinigten Staaten durch die Suizide prominenter Persönlichkeiten wie Chris Cornell, Chester Bennington, Kate Spade und in den Medien sehr präsent. Es ist an der Zeit, die Menschen in der Luftfahrt mehr für dieses Thema zu sensibilisieren und vor allem die psychologische Betreuung zu verbessern.
Eine im Dezember 2016 im Magazin Environmental Health veröffentlichte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass 12,6% der befragten Piloten auf der PHQ-9-Skala als klinisch depressiv einzustufen seien. Ganze 4,1% der befragten Piloten gaben an, Selbstmordgedanken zu haben. Im Rahmen der Studie wurden 3485 Piloten anonym befragt, um den mentalen Gesundheitszustand und PHQ-9-Wert zu ermitteln.
In der Studie wird darauf hingewiesen, dass viele Piloten sich aus Angst vor den Konsequenzen nicht trauen, professionelle Hilfe aufzusuchen. Stattdessen fanden die Forscher eine starke Korrelation zwischen Depressionen und Selbstmedikation mit Schlaftabletten usw.
Die starke mentale Belastung durch die besonders große Verantwortung und Stress gepaart mit unnatürlichen und stark variiernden Schlafrhythmen (insbesondere bei Langstreckenpiloten) trägt sicher dazu bei, dass so viele Piloten an Depressionen leiden.
Gerade für viele Piloten ist der mentale Gesundheitszustand noch ein Tabuthema. Wie in diesem Artikel der Flightglobal berichtet wurde, gibt es aber mittlerweile einige Initiativen, die sich mit diesem Thema befassen. Es geht im Moment insbesondere darum, die psychologische Behandlung von Depressionen als valide Option bei Piloten zu etablieren. Viele Piloten fürchten verständlicherweise um ihren Lebensunterhalt und scheuen sich davor, Hilfe aufzusuchen. Laut dem Centre for Aviation Psychology kehren aber 90% der behandelten Piloten wieder zu ihrem Job im Cockpit zurück.
In meinem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik habe ich auch einige Module absolviert, die sich mit dieser Thematik beschäftigen (Human Factors, Luftfahrtpsychologie usw.). Die Dozenten unterrichteten dieselben Kurse auch an Flugschulen, wie uns erklärt wurde. Aus meinen Erfahrungen kann ich berichten, dass der Fokus in der Ausbildung eher auf Präventivmaßnahmen liegt. Behandlungsmethoden werden kaum diskutiert.
Wer Suizidgedanken hat, sollte sich an vertraute Menschen wenden. Oft hilft bereits das Sprechen dabei, die Gedanken zumindest vorübergehend auszuräumen. Wer für weitere Hilfsangebote offen ist oder sich um nahestehende Personen sorgt, kann sich an die Telefonseelsorge wenden: Sie bietet schnelle Hilfe an und vermittelt Ärzte, Beratungsstellen oder Kliniken unter der Nummer 0800/1110111.