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Fliegen Erklärt: Kann man im Flug die Tür öffnen?

Museum of Flight, Seattle

Die Luftfahrt ist immer wieder gut für merkwürdige Geschichten: Erst letzte Woche hat ein Vorfall in San Francisco für Unterhaltung gesorgt, bei dem ein ungeduldiger Teenager nach der Landung das Flugzeug über die Notrutschen verlassen hat. In den Leserkommentaren zu diesem Thema kam, zumindest in den Boulevardblättern, wieder einmal das Thema „Öffnen der Türen im Flug“ auf. Genau darauf wollen wir in diesem Teil der Reihe Fliegen Erklärt einen Blick werfen. Bei einigen Flugzeugen kann ja offensichtlich im Flug eine Tür geöffnet werden, beispielsweise für Fallschirmspringer. Daher konzentrieren wir uns auf moderne Verkehrsflugzeuge wie den Airbus A320, wo die Antwort nicht unbedingt auf der Hand liegt.

Kann eine Flugzeugtür im Flug geöffnet werden?

Ja und nein. Zunächst einmal gibt es keine mechanische oder elektrische Vorrichtung, die ein Öffnen der Türen im Reiseflug verhindert. Der Entriegelungsmechanismus der Türen funktioniert im Reiseflug genau wie am Boden. Die Tür selbst ist aber so konstruiert, dass man schon übermenschliche Kräfte haben müsste, um sie auf 10.000 m Höhe zu öffnen.

Grundlage dafür ist der Luftdruck. Moderne Verkehrsflugzeuge haben eine bedruckte Kabine, da der Luftdruck in den Teilen der Atmosphäre, in denen Verkehrsflugzeuge im Reiseflug unterwegs sind, nicht zum Überleben ausreicht. Der Luftdruck, der in der Kabine herrscht, wird meistens als Cabin Altitude bezeichnet. Diese Kabinenhöhe ist die Äquivalenzhöhe über dem Meeresspiegel, die denselben Luftdruck wie die Kabine hat. Dazu wird ein Atmosphärenmodell wie die ISA genommen. Um Hypoxie, Höhenkrankheit, Dekompressionskrankheit und Barotrauma zu vermeiden, beträgt die maximal zulässige Kabinenhöhe 8.000 ft bzw. 2.400 m. Ältere Flugzeuge wie die Boeing 767 haben eine Kabinenhöhe von 7.000 ft im Reiseflug, während die 787 dank neuer Technologien einen Wert von 6.000 ft verwendet und so die Auswirkungen der „Höhenluft“ auf den Körper reduziert.

Museum of Flight, Seattle
Museum of Flight, Seattle

Damit ergibt sich zum Beispiel für eine Boeing 787, die im Reiseflug auf etwa 38.000 ft Höhe fliegt, ein Druckunterschied von etwa 600 hPa. Der Wert basiert auf der ISA-Tabelle und ist daher ein Modellwert und nicht unbedingt die Realität, aber nah dran. Diesen Druckunterschied macht man sich bei den Türen zu Nutze. Es gibt verschiedene Türöffnungsmechanismen, die verwendet werden; hier gibt es gute Videos zu A320, 737 und 777. Auch wenn die Konzepte sehr verschieden sind, haben sie eins gemeinsam: Die Tür muss zunächst ein kleines Stückchen nach innen bewegt werden, bevor man sie nach außen drücken kann. Das hat den Hintergrund, dass die Tür damit durch den Kabinendruck in Position gehalten wird. Würde die Tür direkt nach außen öffnen, müsste die Aufhängung der Tür den ganzen Flug lang gegen den Kabinendruck arbeiten.

Ein willkommener Nebeneffekt ist, dass die Tür durch einen Menschen im Flug nicht zu öffnen ist. Bei einer angenommenen Türfläche von 1,5 m^2 müsste man also im Reiseflug bei 600 hPA Druckunterschied mit ungefähr 90 kN (p=F/A) an der Tür ziehen, um sie zu öffnen. Das entspricht in etwa dem Maximalschub eines CFM56-Triebwerks, wie es an der 737 Classic verbaut ist. Selbst in kleineren Flughöhen wie 10.000 ft bzw. etwa 3.000 m beträgt der Druckunterschied immerhin noch ein Sechstel des Werts, der auf Reiseflughöhe anzutreffen ist. Dann müsste man also 15 kN Kraft haben oder anschaulicher gesagt 1.500 kg heben können. An einem kleinen Türgriff wohlgemerkt.

Und am Boden?

Die Kabine wird oft schon am Boden bedruckt, um den Startvorgang für die Passagiere etwas angenehmer zu machen. Hier reden wir aber nur noch von Druckunterschieden in der Größenordnung von ~0,02 bar, die Pressure Bumps abfedern. Nach der Landung wird ein ähnlich großer Druckunterschied aus demselben Grund meist noch während des Taxis beibehalten und quasi kontinuierlich abgebaut. Der Großteil des verbleibenden Druckunterschieds wird beim Touchdown über ein Outflow Valve ausgeglichen. In beiden Fällen können die Türen aber von einem Menschen geöffnet werden. Das ist für eine eventuelle Evakuierung ja auch notwendig.

Museum of Flight, Seattle
Museum of Flight, Seattle

Bei der Landung ist noch zu beachten, dass die gewählte Kabinenhöhe bei der Landung natürlich vom Flughafen abhängt, der angeflogen wird. Während man in Denver, das in etwa 5.500 ft Höhe liegt, gar nicht so viel Kabinenhöhe abbauen muss, muss man das in Amsterdam umso mehr. In der Regel wird der richtige Kabinendruck für die Landung automatisch gesetzt (der Flight Management Computer weiß ja, wo das Flugzeug landet, und hat auch entsprechende Höheninformationen in seinen Datenbanken hinterlegt). Vor einigen Jahren gab es allerdings einen Vorfall, bei dem der Pilot einer Maschine der American Airlines die Cabin Pressure Control auf Manual umgeschaltet hat, dann bei der Landung aber vergessen hat, den richtigen Kabinendruck für den Zielflughafen in Haiti einzustellen. Ein Flugbegleiter starb, als er beim Versuch die Tür zu öffnen aus der Kabine gesaugt wurde und auf das Vorfeld fiel.

Spannend wird es nochmal, wenn der Flughafen höher liegt als die eigentliche Cabin Altitude. Der Flughafen von Bogotá liegt beispielsweise in 8.360 ft Höhe. Für die Landung in Bogotá wird bis zum Touchdown die normale Cabin Altitude (787: 6.000 ft) beibehalten und das Flugzeug beim Touchdown über das Outflow Valve auf den Umgebungsdruck bedruckt. Beim Start behält das Flugzeug zunächst den Umgebungsdruck als Kabinendruck bei und „sinkt“ dann nach dem Start kontinuierlich auf die gewählte Cabin Altitude.

Anzumerken ist noch, dass natürlich die Notrutschen aufgehen, solange die Türen armed sind. Das Armen und Disarmen der Türen erfolgt durch die Flugbegleiter, die auf Anweisung der Cockpit Crew („All doors in flight and cross-check“) die Türen in den Flugmodus versetzen und sich dabei gegenseitig kontrollieren („cross-check“). Türen, die sich im Flugmodus befinden, sind in irgendeiner Weise unmissverständlich als solche markiert, beispielsweise durch ein rotes Band oder ein blinkendes Licht. Nach der Ankunft am Gate werden die Türen dann wieder in den Parkmodus gesetzt. Bei einigen Flugzeugen geschieht das auch automatisch, wenn die Tür von außen geöffnet wird.

Zusammenfassung

Theoretisch kann man in einem kommerziellen Verkehrsflugzeug jederzeit die Türen öffnen. Praktisch ist es aber für Menschen unmöglich, da man aufgrund des Kabinendrucks einen unglaublichen Kraftaufwand benötigen würde. Am Boden kann man die Türen zwecks Evakuierung jederzeit öffnen, was einerseits durch die Landing Cabin Altitude und andererseits durch das Outflow Valve sichergestellt wird. Die Kabinenhöhe bei Start und Landung hängt von der Höhe des Flughafens ab.

Wenn euch irgendwelche Fragen auf dem Herzen liegen oder irgendwelche Themen brennend interessieren: Ich bin für Vorschläge immer offen!

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