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Fliegen Erklärt: Wie kann ein halbes Triebwerk im Flug abfallen?

A330 Triebwerk

Letzte Woche sorgte ein Vorfall mit einer Maschine der Air France für Aufsehen: Der Airbus A380 verlor im Reiseflug über dem Nordatlantik den gesamten vorderen Teil eines seiner Triebwerke. Die Crew landete das Flugzeug sicher in Goose Bay, Kanada. Für die Passagiere dürfte es dennoch ein unangenehmes Erlebnis gewesen sein. In diesem Teil der Reihe Fliegen Erklärt werfen wir einen Blick auf die Frage, wie genau das passieren konnte.

A330 Triebwerk
A330 Triebwerk

Einzelner Schaufelflug?

Zunächst einmal möchte ich klarstellen, dass noch keine offiziellen Untersuchungsergebnisse vorliegen. Aufgrund der vorliegenden Daten kann man aber schon ganz gut absehen, wohin die Ermittlungen wohl gehen werden.

In vielen Meldungen wurde der Begriff „Uncontained Engine Failure“ verwendet. An sich ist diese Bezeichnung auch korrekt, aber für Außenstehende vielleicht etwas irreführend. Gemeint ist ein Versagen des Triebwerks, wobei die beschädigten Teile nicht im Triebwerk einbehalten werden konnten und abgeflogen sind. In diesem Fall ist der gesamte Fan (die erste Stufe des Niederdruckverdichters) mitsamt Cowling (Gehäuse/Einlauf) abgefallen.

AF66 Triebwerk via http://newsinflight.com
AF66 Triebwerk via http://newsinflight.com

Viele Menschen verbinden ein Uncontained Engine Failure mit dem Versagen einer einzelnen Fanschaufel und führen das als mögliche Erklärung für den Fall Air France 66 an. Das ist allerdings sehr unwahrscheinlich. Ja, im Falle eines Fanschaufelflugs (Fan Blade-Off, FBO) entstehen nach dem eigentlichen Schaufelflug enorme Fliehkräfte durch die resultierende Unwucht. Das bekommen die Piloten auch mindestens in Form von Warnungen wegen zu hoher Vibrationen mit und stellen das Triebwerk unverzüglich ab. Die Reaktions- und Entscheidungszeit der Crew, die ein Triebwerkshersteller bei der Berechnung und Zertifizierung des FBO-Falls berücksichtigen muss, wird in Sekunden gemessen. Die entstehenden Lasten sind nämlich so groß, dass unter Umständen das gesamte Triebwerk abreißen kann. Auf YouTube gibt es ein schönes Video des FBO-Tests des Rolls-Royce Trent 900, welches die entstehenden Kräfte ganz gut rüberbringt.

Das Triebwerk wird also abgestellt, um keine Probleme aufgrund der riesigen Unwucht zu bekommen. Es dreht dann im Windmilling („Windmühlenbetrieb“, also nur durch den Fahrtwind angetrieben) wesentlich langsamer, weshalb keine enormen Fliehkräfte entstehen, die den gesamten Fan mit Einlass abreißen könnten. Daher halte ich es für unwahrscheinlich, dass es hier vor dem Abreißen des vorderen Triebwerks zu einem einzelnen Fanschaufelflug kam.

Parallelen zu Qantas 32?

Vor einigen Jahren kam es schon einmal zu einem Uncontained Engine Failure an einem A380. Das Flugzeug der Qantas hatte allerdings Triebwerke von Rolls-Royce, während die Maschinen der Air France mit Triebwerken der Engine Alliance (GE und Pratt & Whitney) ausgestattet ist. Trotzdem sehe ich eine sehr bedeutende Parallele zu diesem Vorfall: Es handelte sich bei QF32 um ein plötzliches Versagen einer Turbinenscheibe. Die Turbinenscheibe wird bei AF66 nicht involviert gewesen sein, aber plötzliches Materialversagen klingt sehr plausibel.

Ein mechanischer Bruch der Niederdruckwelle („Mechanical Failure of LP Shaft“), auf der der Fan sitzt, kann nämlich auch den ganzen Fan abreißen. So ein Wellenbruch kann sehr plötzlich auftreten. Wenn wir uns den angesprochenen Vorfall mit der Qantas-Maschine näher anschauen, stellen wir fest: Grund war eine Ölleckage, die eine Turbinenscheibe quasi explodieren ließ („Turbine Disk Burst“). Dort ist Öl aus dem System der Hochdruck-/Mitteldrucklager ausgetreten und hat ein Triebwerksfeuer verursacht, was dort zum Versagen der Turbinenscheibe führte.

Etwas ähnliches könnte hier im Bereich des Frontlagers passiert sein. Ein Ölfeuer am Frontlager, was zum Bruch der Niederdruckwelle geführt hat, klingt nicht abwegig. Es ist natürlich lange nicht die einzig mögliche Erklärung, aber die Ermittlungen gehen doch wahrscheinlich in Richtung Versagen der Welle im Bereich des vorderen Lagers.

Fazit

Man kann von Glück reden, dass bei diesem Vorfall keine Passagiere zu schaden gekommen sind. Schon das Abfallen das Fans samt Cowling hätte große Schäden am Flugzeug verursachen können. Zu den genauen Ursachen wird es sicher bald Untersuchungsergebnisse geben. Die Air France Crew hat sich jedenfalls schon ein großes Lob für die Handhabung der Situation verdient. Auch Air France selbst scheint sich ganz gut um die Passagiere gekümmert zu haben, wie Seth Miller berichtet.

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